Thema: Märchen einmal anders

Der Bergkristall wuchs über Jahrtausende hinweg in seiner kühlen, dunklen Höhle heran.
Molekül über Molekül streckten sich seine Kristallgitter der Decke entgegen.
 
„Langweilig!“, rief der Bergkristall nach fünf Jahrtausenden in die Höhle.
 
„Ruhe!“, brummelte der Stalaktit von der Decke herab.
 
„Nie passiert hier was…“, rummelte der pubertierende Bergkristall vor sich hin.
 
Plötzlich riss die Decke auf und gleißendes, unbekanntes Licht warf Regenbögen durch den durchsichtigen Leib des Kristalles.
 
„Oh wie schön!“, dachte Kristall, während Gesteinsbrocken um ihn herum herabprasselten.
 
Ein letztes „Ruhe!“ erschallte in der Höhle, bevor der steinalte Stalaktit sich knapp vor Kristall in den Boden bohrte.
 
„Jetzt hast du deine ewige Ruhe!“, dachte Kristall, als sich ein Gegenstand aus Eisen in seine Felsverankerung bohrte.
 
„Sorry!“, sagte das Eisenbeil, „aber da musst du jetzt durch.“.
 
„Waaa?“, sagte Kristall, als er unsanft aus seiner Verankerung gerissen wurde.
Die Regenbögen glühten durch seinen Körper und rissen ihn in eine erlösende Bewusstlosigkeit.
 
Jahre später, nach einer mühseligen, schmerzhaften Reise landete Kristall in einer dunklen Holzkiste.
Gleißendes Licht riss ihn aus seiner Lethargie und eine Hand zog ihn unsanft aus einer Kiste heraus.
Mit Entsetzen sah Kristall einen Fuß auf sich zurasen.
 
„Nicht! Nicht das schon wieder!“, dachte Kristall.
 
Aber dann schlüpfte dieser schlanke, elegante Fuß in ihn hinein.
 
„Ah!“, seufzte Kristall, während seine Siliziumdioxidmoleküle glücklich um den Fuß herumvibrierten.


Original Handschrift

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