von Michaela und Günter

Monat: April 2024

Die Enthauptung

Die Enthauptung

Grelle Blitze aus Licht folgten auf gnadenvolle Phasen der Bewusstlosigkeit.
Lautlos schrie Jorges Körper, seine Stimme war schon vor Stunden verstummt. Gepresste Stöße aus Luft versuchten in seine gequetschte Lunge vorzudringen. Die Schulterblätter seiner ausgekugelten Arme, die an dem groben Hanfseil von der Decke hingen, ließen fast keinen Raum für Sauerstoff.
Aber nur fast. 
Seine Folterknechte unterhielten sich lachend, Zigarettenqualm verringerte den Sauerstoffanteil in der Luft noch weiter. Jorges Augen starrten auf den rostigen Kübel vor ihm. 
Seinen Kopf zu heben hatte er schon vor langer Zeit aufgegeben.

Einmal blinzeln. Weg. Und wieder da.

Unermessliche Schmerzen für das bisschen Sauerstoff. Füße näherten sich am Rand seines Blickfeldes. Füße in braunen Gummistiefen und Beine, verhüllt von einem Einweg-Schutzanzug.
Die konturenlose Gestalt stand jetzt vor ihm.
Eine Hand krallte sich in Jorges Haare und zog seinen Kopf nach oben.
Lichtblitze aus Schmerz durchzuckten seinen gequälten Nacken, seine Schultern und seinen Kopf. Tränen und Schweiß trübten seinen Blick auf die fauligen Zähne im höhnisch lachenden Gesicht seines Peinigers. Jetzt könnte Jorge auch die Anfeuerungsrufe der zwei anderen Schläger des Sinaloa-Kartelles hören. Die andere Hand des namenlosen Peinigers hielt eine penibel geschärfte Machete.
Tränen der Erleichterung liefen über Jorges Gesicht.

Einmal blinzeln. Weg. Und wieder da.

Eine Explosion in seinem Nacken. Verwirrung in seinem Gehirn.
Kein Schmerz, kein Atmen, nur Verwirrung. Sein Blick beginnt sich zu drehen.

„Wo bin ich?“, denkt Jorge.
Sein Blick dreht sich weiter und er sieht einen Körper.
Einen Körper ohne Kopf, aus dem eine Fontäne aus Blut schießt.
„Oh, der arme Körper!“, denkt Jorge, aber sein Blick dreht sich weiter.
Er starrt hinauf auf johlende Gestalten.
Sein Blick dreht sich weiter.
Er starrt hinab in die gähnende Öffnung des Kübels.
Ein dumpfer Aufprall. Finsternis.
Etwas Warmes, das seine Wangen entlangläuft.
Erleichterung und Trauer.
Ein Gedanke. Ein Bild.
Sofia, die Camila an der Hand hält.
Plötzlich blendende Helligkeit.
Stille.

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Das Waisenhaus

Das Waisenhaus

Hänschen stellte sich vor in das Sternenfirnament zu starren.
Mondlicht schimmerte durch Löcher im strohgedeckten Dach des Waisenhauses.

„Wenigstens regnet es heute nicht!“, dachte Hänschen und versuchte eine halbwegs bequeme Position auf der sticheligen Strohmatratze zu finden.
Er lauschte hinein in den Schlafsaal.
Hänschen hatte gelernt auf das Atmen der anderen Waisen zu achten. Ein Kratzen an der morschen Holzwand hinter ihm unterbrach seine Konzentration.

Hänschen erstarrte und hielt den Atem an. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges lauern viele schlimme Dinge hinter jeder Ecke und in jedem Verschlag. Ein leises Fiepen ließ ihn wieder etwas entspannen.
Ein Bild seiner Familie, wie Vater, Mutter und Schwestern um den Esstisch herum saßen und beteten, blitzte in seinem Kopf auf.

„Nein, bitte nicht!“, dachte Hänschen und versuchte verzweifelt die Tränen zu unterdrücken. Obwohl er nicht verstand, wie dieser See aus Tränen immer noch nicht leer sein konnte.

Tränen liefen seine Schläfen herab und versickerten im groben Stroh der gedroschenen Hirsestengel.
Kein Laut verließ seine von der Kälte rissig gewordenen Lippen. Ängstlich lauschte Hänschen in den Raum hinein.
Ein Wimmern, dann ein Röcheln, dann unsägliche Stille. Das leise Kratzen hinter ihm entfernte sich.

Nur der endlose Strom aus Tränen blieb zurück.

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Unzulänglichkeitswut

Unzulänglichkeitswut

Schwäche und Wut
suchen einen Weg zueinander
doch magnetisiert
von der eigenen Existenz
 
ziehen sie sich zurück
werden auseinandergeschleudert
wie Galaxien
die sich zu schnell umeinander
 
drehen
winden
kreisen
wirbeln
 
herum um einen unsichtbaren Punkt
des gemeinsamen Ichs
nicht greifbar
unbegreiflich
 
warum sich diese Energien
unbändig sträuben gegen
todbringende
Harmonie und Entropie
 
in uns und um uns
verhasst in unserem sehnsüchtigen Streben
nach tödlicher Normalität
geboren im Urknall
 
im Ursprung
im Paradies
im Chaos
unerschöpflicher Potenziale

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Ode an die Unzulänglichkeit

Ode an die Unzulänglichkeit

Ode an die Rebellion!
 
Lange habe ich darüber nachgedacht was mich am Allermeisten an mir stört.
Es ist gar nicht so einfach ein spezielles Detail herauszupicken.
Gefühlt habe ich so viel an mir auszusetzen, dass ich Bücher darüberschreiben könnte.
Doch aus Erfahrung weiß ich, dass mir beigebracht wurde, vieles an mir schlecht zu finden.
Was in meinem Kopf abgeht und was der Realität entspricht läuft in zwei völlig entgegengesetzte Richtungen. Fragen wir Günter, ich denke, er wird mir recht geben.
Und obwohl ich das weiß, siegt leider sehr häufig der Kopf. Leider!
Doch hat dieses Verhalten auch seine guten Seiten.
 
Und dann beginne ich zu grübeln und habe folgende Gedanken auf der Suche nach meiner größten Unzulänglichkeit:
 
Angst vor meinem wahren Ich?
Meine Wut nicht ausdrücken zu können?
Als Mensch nicht perfekt zu sein?
Fehler an anderen Menschen zu finden?
Lügen zu können?
Angelogen zu werden.
Nicht ernst genommen zu werden?
Nicht zu genügen?
Detailverliebt zu sein?
Die Liste könnte ich endlos fortführen.
 
Und dann fährt die Erkenntnis wie ein Blitzschlag in mich ein!
 
Meine größte Unzulänglichkeit ist die Rebellion gegen das Establishment!
Meinem Klinikaufenthalt in Ybbs sei Dank, wird es mir wieder brutal mitten ins Gesicht geschleudert.
 
Es macht mich kaputt und dennoch ist es gleichzeitig der blanke Wahnsinn!
Es fühlt sich einfach toll an.
Anderen ihre Fehler aufzuzeigen ist sooooo geil!
Ich zeige ihnen damit ihre Unzulänglichkeit auf. Wie herrlich, damit kann ich so richtig schön von mir ablenken.
In jedem Zahnrad eines Systems stecken Sandkörner.
In manchen sind es Sandkörner, die so klein sind, wie die einer Sanduhr.
In manchen sind sie so groß, dass man das ganze System in den Kübel kippen müsste.
Es ist schier unglaublich, dass sie überhaupt funktionieren.
Doch das gibt mir die Kraft und die Macht, mich darüber aufzuregen.
 
Es ist vergleichbar wie eine Jagd.
Der Jäger legt sich stundenlang auf die Lauer und wartet auf seine Beute.
Dann erscheint sie in seinem Blickfeld.
Der Puls steigt. Die Konzentration ist auf dem Höhepunkt.
Der Körper stellt sich auf die Jagt ein.
Gedanken schießen durch den Kopf, werde ich treffen, wo werde ich treffen. Wann ist der richtige Zeitpunkt?
 
Genau so läuft es auch bei mir ab.
Egal wo ich hingehe, es gibt irgendwelche Regeln und da sind auch Menschen.
 
Augenblicklich beginnt mein Kopf auf Hochtouren zu laufen.
Der Puls steigt.
Der Körper spannt sich an.
Ich erwarte mit Spannung diesen einen Satz zu hören oder zu lesen.
Der Augenblick rückt näher, ich kann es kaum erwarten.
Ich bin wie elektrisiert, um nicht zu sagen ekstatisch.
Und dann kommt er, dieser eine Moment der Erlösung.
Wie ein Donnerwetter bricht er über mich herein.
Ich schlage wie ein Adler meine Krallen in die Beute und lasse nicht mehr los.
 
Und dann wird sich daran gelabt.
Die Regel oder das Verhalten wird genau unter die Lupe genommen und beleuchtet, ausgeleuchtet und durchleuchtet.
Was kann sie, ist sie Sinnvoll? Wem nützt sie? Wem hilft sie? Hat sie Hand und Fuß?
Ergibt sie in ihrer Gesamtheit einen Sinn? Wie ist sie formuliert? So, dass jeder sie versteht oder extra kompliziert, damit man verschleiern kann, dass derjenige, der sie unterschreibt oder annimmt, über den Tisch gezogen wird. Hat sich jemand etwas dabei gedacht oder ist es doch nur Hirnwichserei und von jemanden ausgedacht, der zu viel Zeit hatte?
Was sagt der Mensch, wie verhält er sich? Passt das was er sagt mit dem was er mit der Körpersprache ausdrückt überein?
 
Es ist einfach zu schön in all diesen Fragen zu baden, sich darin zu suhlen, um dann mit Freuden sich der Gründe zu widmen, warum diese Regeln entstanden sein könnten oder sich der Mensch so verhält, wie er es eben tut.
Da kommt man dann wieder so schön in den Jägermodus und kommt auf mögliche Antworten wie etwa:
 
Klingt plausibel und logisch.
Kann man lassen.
Damit kann man alle Menschen schön über einen Kamm scheren, was das Leben mancher Firmenchefs und Konzernen sowie Einrichtungen wie Krankenhäuser oder Psychiatrischer Einrichtungen sehr vereinfacht.
Damit bekommt wieder jemand die Kontrolle über andere.
Einfach nur Schikane.
Einfach nur komplett sinnlos.
 
Und wenn es um Menschen geht:
Mein Gott, der ist aber kleinlich.
Der hat ja keine Ahnung.
Was denkt sich der oder die eigentlich?
Hat er oder sie noch alle?
Was für eine Frechheit!
 
Ach, man könnte diese Liste ewig fortführen. Schade damit jetzt aufzuhören. 🙂
 
Alles in allem stelle ich zusammenfassend fest, dass diese Eigenschaft, auch wenn sie mich in den Wahnsinn treibt, eine sehr tolle und vor allen Dingen gute und wichtige Eigenschaft an mir ist.
Es gibt schon viel zu viele Lemminge auf dieser Welt, die nichts mehr hinterfragen oder einfach ohne nachzudenken tun, was man ihnen sagt, oder aufträgt, ohne ihren Hausverstand einzuschalten!
Hausverstand, gibt es leider nur noch sehr selten in unserer Gesellschaft und ist meist auch nicht mehr gefordert, was uns als Menschen immer mehr in die Isolation und Einsamkeit treibt.
 
So bin ich also äußerst dankbar über meinen noch vorhanden ausgeprägten Hausverstand und die vollendete Kunst des „alles Hinterfragens“
 
Kurz: ES LEBE DIE REBELLION!!!!

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Ode an die Unzulänglichkeit

Ode an die Unzulänglichkeit

O du meine Unlust
wie traurig süß ist deine Gegenwart
umhüllt in mottenzerfressener Seide
kühlst du mein eisiges Herz
 
Begnadet gnadenlos nimmst du meine Hand
und reißt sie los vom Joch
der Kreativität
der Freude
der Trauer
und den Zwillingen
Hoffnung und Hoffnungslosigkeit
 
O wie wunderschön zart
sind deine Hände aus Glas
aus Scherben aus Glas
 
die meinen Körper liebkosen
ihn öffnen
für den scharlachroten Übergang
des Schmerzes
des Lachens
 
Zurück in das ewige Gezerre
zwischen Anfang und Ende
der Zwilling
Hoffnung und Hoffnungslosigkeit

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