Im Halbdunkel des Ichs
erstrahlt das Licht der Neugier
so grell wie ein Blick in die Sonne
geblendet
orientierungslos
leidenschaftlich
reiße ich an der Schnur
die den Vorhang fallen lässt
vor die Bühne des Lebens
ich lege den Schalter um
und das Rampenlicht
erlischt
unsichtbarer Dampf
steigt auf von
abkühlenden
heißen
nachleuchtenden
Potenzialen
Gemurmel im Saal
unruhiges Rutschen auf Stühlen
Applaus brodelt gegen die Bühne
die Hand an der Schnur
die Hand an dem Schalter
des Lebens
Potenziale
Kann ich sie ertragen?
Können sie mich ertragen?
Muss ich sie ertragen?
Ein Flug zur Sonne
ohne Blick zurück
verglüht
Schmerz
Wut
unermessliche Freude
und auch
die Angst vor der Hoffnung
Monat: Juni 2024
„Guruu, Gehirn, Guruu!“, krächzte Trude, die Zombietaube.
Sie saß am Sims einer Mansardenwohnung gegenüber dem Stephansdom.
Konzentriert schärfte sie ihren Schnabel an den bereits glattpolierten Stäben des Dornengitters.
Der schwarze Schimmel auf ihrem vormals blau-grauen Gefieder verschluckte Großteils das Licht, das vom Fernseher der Wohnung hinter ihr über sie hinwegflackerte.
Ein milchiges Auge fixierte Menschen, die im abendlichen Halbdunkel weit unter ihr – scheinbar fröhlich – über den Stephansplatz torkelten.
Das andere Auge, das bereits ein wenig aus seinem Sockel heraushing, versuchte die Schärfe des Schnabels einzuschätzen.
„Guruu, Gehirn, Guruu, Gehirrrrrn!“, krächzte Trude hungrig.
Sie beschloss, dass ihr Schnabel jetzt scharf genug war, um durch den Augapfel, die Netzhaut und den Sehnerv in das ersehnte menschliche Gehirn zu gelangen.
Ihre Augen begannen Chamäleon gleich über die Passanten zu zucken, auf der gierigen Suche nach dem leichtesten Opfer.
Trude war so konzentriert auf die Beute unter ihr, dass sie den leisen Luftzug nicht wahrnahm, der über sie hinwegstrich.
„Guruu, Gehiiii…..“, war ihr letzter Gedanke, bevor ihr eigenes Gehirn aufgespießt wurde.
„Fiep, Taubengehirn, Fiep!“, piepste Nils, der Zombiehamster, als er genüsslich das Gehirn der Zombietaube durch seine Nosferatu-Zähne aufsaugte.
Ein Einzeller Märchen
Hansi, das Pantoffeltierchen, schwebte in einem Bällebad aus Wassermolekülen.
Stolz strich es mit den Flimmerhärchen über die Tochterzelle neben ihm.
Am Tag zuvor hatte sich Hansi an einem Schwarm von Cyanobaktieren gelabt und weil sein Bauch so sehr gefüllt war, hatte Hansi Lust bekommen sich zu teilen.
Gedacht, getan und schon waren sie zu zweit.
„Kannst du dich noch erinnern, damals, als ich selbst noch eine frisch geteilte Tochterzelle war?“, flimmert Hansi seiner Tochterzelle zu.
„Ja, klar, du Doofie, ich bin ja ein Klon von dir.“, flimmerte Flo zurück, „Meinst du, als du vor Angst quietschend vor der mickrigen Amöbe geflohen bist?“
„Diese Jugend von heute! Bei der Teilung muss bei dir wohl was mutiert sein, wenn du jetzt schon dement bist, wo soll das noch hinführen?“
„Mutiert, das nimmst du zurück! Und wenn dann sind deine Gene daran schuld!“
„Selber schuld, du Teilungsopfer!“
„Selber Opfer, du unbestimmtes Elternteil!“
Das wilde Herumflimmern hatte beide Zellen erschöpft.
„Na gut, also woran soll ich mich erinnern?“, fragte Flo.
„Hmpf.“, flimmerte Hansi, „Und wenn dann war es ein Sonnentierchen und keine Amöbe.“
„Also ich meine all diese Erinnerungen, die plötzlich da waren! Generationen und Generationen von Erinnerungen zurück bis zum ersten zufälligen Ahnen-Aminosäurestrang!“
„Als wäre es gestern gewesen!“, zwinkerte Flo versöhnlich zurück.
„Mich hat am meisten diese Geschichte von dem Urahn beeindruckt, der sich gegen die Schwefelesser durchgesetzt hatte!“
„Schwefelfresser, brrr, diese dreckigen …“.
„Na, hör mal, ich dachte, ich habe meinen Rassismus endlich überwunden, und schwupps…“.
„Jaja, ich weiß, die können auch nix dafür, dass es bei denen zu Hause so stinkt…“, flimmerte Flo beschwichtigend.
„So, wo war ich, ja der Schwefelfresser vernichtende Urahn…“
„Hehe, jetzt hast du’s geflimmert!“, kicherte Flo hämisch.
„Grrr, ein paar Millionen Generationen und der Rassismus ist immer noch nicht wegmutiert. Naja, vielleicht bei der nächsten Zellteilung.
Was ich eigentlich flimmern wollte…“
In diesem Moment trieb ein Schwarm von Legionellen vorbei.
Hansi und Flo knurrte ihre Nahrungsvakuolen und sie flimmerten hungrig in den Legionellenschwarm hinein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann teilen sie sich noch heute.