von Michaela und Günter

Autor: Günter Schaden Seite 2 von 10

Die Angst vor der Hoffnung

Die Angst vor der Hoffnung

Im Halbdunkel des Ichs
erstrahlt das Licht der Neugier
so grell wie ein Blick in die Sonne
 
geblendet
orientierungslos
leidenschaftlich
 
reiße ich an der Schnur
die den Vorhang fallen lässt
vor die Bühne des Lebens
 
ich lege den Schalter um
und das Rampenlicht
erlischt
 
unsichtbarer Dampf
steigt auf von
abkühlenden
 
heißen
nachleuchtenden
Potenzialen
 
Gemurmel im Saal
unruhiges Rutschen auf Stühlen
Applaus brodelt gegen die Bühne
die Hand an der Schnur
die Hand an dem Schalter
des Lebens
Potenziale
 
Kann ich sie ertragen?
Können sie mich ertragen?
Muss ich sie ertragen?
 
Ein Flug zur Sonne
ohne Blick zurück
verglüht
Schmerz
Wut
unermessliche Freude
und auch
die Angst vor der Hoffnung

Originalhandschrift
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Trude Günter Wasserzeichen

Trude

„Guruu, Gehirn, Guruu!“, krächzte Trude, die Zombietaube.
 
Sie saß am Sims einer Mansardenwohnung gegenüber dem Stephansdom.
Konzentriert schärfte sie ihren Schnabel an den bereits glattpolierten Stäben des Dornengitters.
 
Der schwarze Schimmel auf ihrem vormals blau-grauen Gefieder verschluckte Großteils das Licht, das vom Fernseher der Wohnung hinter ihr über sie hinwegflackerte.
Ein milchiges Auge fixierte Menschen, die im abendlichen Halbdunkel weit unter ihr – scheinbar fröhlich – über den Stephansplatz torkelten.
Das andere Auge, das bereits ein wenig aus seinem Sockel heraushing, versuchte die Schärfe des Schnabels einzuschätzen.
 
„Guruu, Gehirn, Guruu, Gehirrrrrn!“, krächzte Trude hungrig.
 
Sie beschloss, dass ihr Schnabel jetzt scharf genug war, um durch den Augapfel, die Netzhaut und den Sehnerv in das ersehnte menschliche Gehirn zu gelangen.
Ihre Augen begannen Chamäleon gleich über die Passanten zu zucken, auf der gierigen Suche nach dem leichtesten Opfer.
Trude war so konzentriert auf die Beute unter ihr, dass sie den leisen Luftzug nicht wahrnahm, der über sie hinwegstrich.
 
„Guruu, Gehiiii…..“, war ihr letzter Gedanke, bevor ihr eigenes Gehirn aufgespießt wurde.
 
„Fiep, Taubengehirn, Fiep!“, piepste Nils, der Zombiehamster, als er genüsslich das Gehirn der Zombietaube durch seine Nosferatu-Zähne aufsaugte.

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Gemeinsamkeiten Günter Wasserzeichen

Gemeinsamkeiten

Ein Einzeller Märchen

Hansi, das Pantoffeltierchen, schwebte in einem Bällebad aus Wassermolekülen.
Stolz strich es mit den Flimmerhärchen über die Tochterzelle neben ihm.
Am Tag zuvor hatte sich Hansi an einem Schwarm von Cyanobaktieren gelabt und weil sein Bauch so sehr gefüllt war, hatte Hansi Lust bekommen sich zu teilen.

Gedacht, getan und schon waren sie zu zweit.
 
„Kannst du dich noch erinnern, damals, als ich selbst noch eine frisch geteilte Tochterzelle war?“, flimmert Hansi seiner Tochterzelle zu.
„Ja, klar, du Doofie, ich bin ja ein Klon von dir.“, flimmerte Flo zurück, „Meinst du, als du vor Angst quietschend vor der mickrigen Amöbe geflohen bist?“
„Diese Jugend von heute! Bei der Teilung muss bei dir wohl was mutiert sein, wenn du jetzt schon dement bist, wo soll das noch hinführen?“
„Mutiert, das nimmst du zurück! Und wenn dann sind deine Gene daran schuld!“
„Selber schuld, du Teilungsopfer!“
„Selber Opfer, du unbestimmtes Elternteil!“
 
Das wilde Herumflimmern hatte beide Zellen erschöpft.
 
„Na gut, also woran soll ich mich erinnern?“, fragte Flo.
„Hmpf.“, flimmerte Hansi, „Und wenn dann war es ein Sonnentierchen und keine Amöbe.“
„Also ich meine all diese Erinnerungen, die plötzlich da waren! Generationen und Generationen von Erinnerungen zurück bis zum ersten zufälligen Ahnen-Aminosäurestrang!“
„Als wäre es gestern gewesen!“, zwinkerte Flo versöhnlich zurück.
„Mich hat am meisten diese Geschichte von dem Urahn beeindruckt, der sich gegen die Schwefelesser durchgesetzt hatte!“
„Schwefelfresser, brrr, diese dreckigen …“.
„Na, hör mal, ich dachte, ich habe meinen Rassismus endlich überwunden, und schwupps…“.
„Jaja, ich weiß, die können auch nix dafür, dass es bei denen zu Hause so stinkt…“, flimmerte Flo beschwichtigend.
„So, wo war ich, ja der Schwefelfresser vernichtende Urahn…“
„Hehe, jetzt hast du’s geflimmert!“, kicherte Flo hämisch.
„Grrr, ein paar Millionen Generationen und der Rassismus ist immer noch nicht wegmutiert. Naja, vielleicht bei der nächsten Zellteilung.
Was ich eigentlich flimmern wollte…“
 
In diesem Moment trieb ein Schwarm von Legionellen vorbei.
Hansi und Flo knurrte ihre Nahrungsvakuolen und sie flimmerten hungrig in den Legionellenschwarm hinein.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann teilen sie sich noch heute.

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Ich lebe meinen Traum Günter - WASSERZEICHEN

Ich lebe meinen Traum

Ein angenehmer Geruch nach Pergament und altem, gegerbtem Leder umgab mich. In meiner Insel aus Licht schwand der Rest des dunklen Raumes wie in der Schwärze des materiefreien Weltraumes zwischen zwei Galaxien.

Das starre Pergamentblatt knarrte leise beim Umblättern. Wie Fossilien tauchten die griechischen Buchstaben auf der Seite des antiken Buches auf. Die Stille der nächtlichen – oder schon morgendlichen? – Stunde verstärkte nur noch meine Aufregung.

Nach zwei Jahren der Recherche und detektivischer Suche hatte ich endlich das verschollen geglaubte Manuskript vor mir. Aber es waren nicht die in Griechisch verfassten Pergamentseiten aus dem zweiten Jahrhundert n.Chr., die mich so sehr interessierten. Es war der Einband des Buches aus Leinen, der die erhoffte Sensation enthielt.

Vorsichtig strich ich mit meinen weißen Handschuhen über den antiken Schatz.
Ich stellte mir vor, wie der griechische Gelehrte die für ihn uninteressanten Seiten mit unbekannter Schrift aus dem Kodex trennte. Vielleicht war es ein Familienerbstück aus grauer Vorzeit, aus einer Vergangenheit, die für ihn verblasst war.

Ich nahm meine Spezial-Infrarotlampe und hielt sie vorsichtig über die Vorderseite des Buch-Einbandes. Da tauchten sie auf, die Wörter in etruskischer Schrift, unverwechselbar durch die gespiegelten griechischen Buchstaben. Und jetzt der Moment, auf den ich so lange hin gefiebert hatte, so viele Stunden studiert und gegen alle Widerstände gekämpft hatte.

Meine Hände zitterten leicht, als ich die Lampe über die Rückseite des Einbandes hielt.

Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Da war er. Der übersetzte Text in lateinischer Schrift, der Schlüssel zur Dechiffrierung der bisher vor uns verborgenen etruskischen Sprache!

Originalhandschrift
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Die Enthauptung

Die Enthauptung

Grelle Blitze aus Licht folgten auf gnadenvolle Phasen der Bewusstlosigkeit.
Lautlos schrie Jorges Körper, seine Stimme war schon vor Stunden verstummt. Gepresste Stöße aus Luft versuchten in seine gequetschte Lunge vorzudringen. Die Schulterblätter seiner ausgekugelten Arme, die an dem groben Hanfseil von der Decke hingen, ließen fast keinen Raum für Sauerstoff.
Aber nur fast. 
Seine Folterknechte unterhielten sich lachend, Zigarettenqualm verringerte den Sauerstoffanteil in der Luft noch weiter. Jorges Augen starrten auf den rostigen Kübel vor ihm. 
Seinen Kopf zu heben hatte er schon vor langer Zeit aufgegeben.

Einmal blinzeln. Weg. Und wieder da.

Unermessliche Schmerzen für das bisschen Sauerstoff. Füße näherten sich am Rand seines Blickfeldes. Füße in braunen Gummistiefen und Beine, verhüllt von einem Einweg-Schutzanzug.
Die konturenlose Gestalt stand jetzt vor ihm.
Eine Hand krallte sich in Jorges Haare und zog seinen Kopf nach oben.
Lichtblitze aus Schmerz durchzuckten seinen gequälten Nacken, seine Schultern und seinen Kopf. Tränen und Schweiß trübten seinen Blick auf die fauligen Zähne im höhnisch lachenden Gesicht seines Peinigers. Jetzt könnte Jorge auch die Anfeuerungsrufe der zwei anderen Schläger des Sinaloa-Kartelles hören. Die andere Hand des namenlosen Peinigers hielt eine penibel geschärfte Machete.
Tränen der Erleichterung liefen über Jorges Gesicht.

Einmal blinzeln. Weg. Und wieder da.

Eine Explosion in seinem Nacken. Verwirrung in seinem Gehirn.
Kein Schmerz, kein Atmen, nur Verwirrung. Sein Blick beginnt sich zu drehen.

„Wo bin ich?“, denkt Jorge.
Sein Blick dreht sich weiter und er sieht einen Körper.
Einen Körper ohne Kopf, aus dem eine Fontäne aus Blut schießt.
„Oh, der arme Körper!“, denkt Jorge, aber sein Blick dreht sich weiter.
Er starrt hinauf auf johlende Gestalten.
Sein Blick dreht sich weiter.
Er starrt hinab in die gähnende Öffnung des Kübels.
Ein dumpfer Aufprall. Finsternis.
Etwas Warmes, das seine Wangen entlangläuft.
Erleichterung und Trauer.
Ein Gedanke. Ein Bild.
Sofia, die Camila an der Hand hält.
Plötzlich blendende Helligkeit.
Stille.

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Das Waisenhaus

Das Waisenhaus

Hänschen stellte sich vor in das Sternenfirnament zu starren.
Mondlicht schimmerte durch Löcher im strohgedeckten Dach des Waisenhauses.

„Wenigstens regnet es heute nicht!“, dachte Hänschen und versuchte eine halbwegs bequeme Position auf der sticheligen Strohmatratze zu finden.
Er lauschte hinein in den Schlafsaal.
Hänschen hatte gelernt auf das Atmen der anderen Waisen zu achten. Ein Kratzen an der morschen Holzwand hinter ihm unterbrach seine Konzentration.

Hänschen erstarrte und hielt den Atem an. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges lauern viele schlimme Dinge hinter jeder Ecke und in jedem Verschlag. Ein leises Fiepen ließ ihn wieder etwas entspannen.
Ein Bild seiner Familie, wie Vater, Mutter und Schwestern um den Esstisch herum saßen und beteten, blitzte in seinem Kopf auf.

„Nein, bitte nicht!“, dachte Hänschen und versuchte verzweifelt die Tränen zu unterdrücken. Obwohl er nicht verstand, wie dieser See aus Tränen immer noch nicht leer sein konnte.

Tränen liefen seine Schläfen herab und versickerten im groben Stroh der gedroschenen Hirsestengel.
Kein Laut verließ seine von der Kälte rissig gewordenen Lippen. Ängstlich lauschte Hänschen in den Raum hinein.
Ein Wimmern, dann ein Röcheln, dann unsägliche Stille. Das leise Kratzen hinter ihm entfernte sich.

Nur der endlose Strom aus Tränen blieb zurück.

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Unzulänglichkeitswut

Unzulänglichkeitswut

Schwäche und Wut
suchen einen Weg zueinander
doch magnetisiert
von der eigenen Existenz
 
ziehen sie sich zurück
werden auseinandergeschleudert
wie Galaxien
die sich zu schnell umeinander
 
drehen
winden
kreisen
wirbeln
 
herum um einen unsichtbaren Punkt
des gemeinsamen Ichs
nicht greifbar
unbegreiflich
 
warum sich diese Energien
unbändig sträuben gegen
todbringende
Harmonie und Entropie
 
in uns und um uns
verhasst in unserem sehnsüchtigen Streben
nach tödlicher Normalität
geboren im Urknall
 
im Ursprung
im Paradies
im Chaos
unerschöpflicher Potenziale

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Ode an die Unzulänglichkeit

Ode an die Unzulänglichkeit

O du meine Unlust
wie traurig süß ist deine Gegenwart
umhüllt in mottenzerfressener Seide
kühlst du mein eisiges Herz
 
Begnadet gnadenlos nimmst du meine Hand
und reißt sie los vom Joch
der Kreativität
der Freude
der Trauer
und den Zwillingen
Hoffnung und Hoffnungslosigkeit
 
O wie wunderschön zart
sind deine Hände aus Glas
aus Scherben aus Glas
 
die meinen Körper liebkosen
ihn öffnen
für den scharlachroten Übergang
des Schmerzes
des Lachens
 
Zurück in das ewige Gezerre
zwischen Anfang und Ende
der Zwilling
Hoffnung und Hoffnungslosigkeit

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Unsichtbare Wege Wasserzeichen

Unsichtbare Wege

Wege schlingen sich
übereinander
untereinander
 
wie Schlaufen im Gehirn
Gehirnschlaufen
ohne sichtbaren Anfang
ohne sichtbares Ende
 
entstanden aus Schlaufen
unsichtbarer DNA
die im Tanz des Lebens
neue Potenziale schaffen
 
Myriaden potenzielle Wege
für das Ich
das in strahlendheller Finsternis
 
herumtaumelt in Kreise und Schlaufen
auf der endlosen Suche
nach dem hellerleuchteten unsichtbaren Weg


Originalhandschrift
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Trauerrede

Die Socke

Thema: Trauerrede über einen verlorenen/kaputtgegangenen Gegenstand

Ach, mir kommt es vor, als wäre es erst gestern gewesen, als ich dich und deinen Zwillingsbruder unter dem Weihnachtsbaum fand.
 
So fröhlich wart ihr damals beide, bunt geringelt und wunderbar weich.
Nicht so kratzig, wie die anderen aus dem Vorjahr.
 
Ihr habt euch sofort zu mir hingezogen gefühlt und ich konnte nicht widerstehen euch sofort anzuziehen.
 
Ganz warm wurde mir nicht nur ums Herz, ihr habt immer nur gegeben und wolltet nichts dafür.
 
Mit Füßen habe ich euch getreten, doch ihr habt es mir nie übel genommen.
Auch wenn mir manchmal übel geworden ist, wenn ich euch wie Müll in den Wäschekorb geworfen hatte.
 
Dann warst du plötzlich nur noch alleine. Dein Zwillingsbruder entführt und gefressen von der sockenmörderischen Maschine.
 
Doch er hatte sich bis zum letzten Moment gewehrt und ihren gierigen Hals gestopft!
 
Wechselnde Beziehungen musstest du ertragen, alle Farben und Muster waren dabei.
Doch du hast es stoisch ertragen, auch wenn ich immer wieder fremd gegangen war.
 
Alt bist du geworden und schlapp.
Aber du lässt mich auch jetzt nicht im Stich, ich trage ich dich über meinem Gesicht.
 
Gemeinsam rauben wir diese scheiß Bank aus und fliehen reich nach Panama!

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